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Kipplüftung besser als ihr Ruf?

Über die Vor- und Nachteile der Kipplüftung sind sich die Fachleute derzeit uneinig. Während in den vergangenen Jahrzehnten mit Nachdruck das Stoßlüften und dabei idealerweise das Querlüften empfohlen wurde, wird in den letzten Jahren immer mal wieder die Meinung vertreten, dass die Kipplüftung besser ist als ihr Ruf. Stimmt das und ja warum?

Zunächst einmal etwas zur Begriffserklärung. Mit Stoßlüften wird das Lüften bezeichnet, bei dem das Fenster eines Raumes komplett geöffnet wird und die Zimmertür zu den restlichen Räumen geschlossen verbleibt. Effektiver ist die Querlüftung, bei der gleichzeitig mehrere Fenster für kurze Zeit geöffnet werden, ggf. auch Fenster aus und Türen zu anderen Räumen. Dabei sind die Fenster und die Türen weit zu öffnen und zwar möglichst so, dass ein Durchzug durch den Raum möglich ist. Das Ziel der Stoßlüftung und der Querlüftung ist ein hoher Luftaustausch in kurzer Zeit. Die Lüftungsdauer ist dabei relativ, d.h. sie ist abhängig von den Randbedingungen wie der Fenstergröße und der Anzahl der geöffneten Fenster und Türen, dem Raumvolumen, aber auch vom Klima.

Eine sinnvolle Stoßlüftung kann 5 Minuten, aber auch 30 Minuten andauern. Die gewählte Zeitdauer ist dabei an das Außenklima anzupassen. Im Winter (Dezember bis Februar) genügen meist schon 5 Minuten Querlüften für einen ausreichenden Luftwechsel. Im Frühjahr und Herbst sind schon etwa 10 Minuten (März und November) bis 15 Minuten (April, September) für einen kompletten Luftaustausch notwendig. Im Sommer (Juni bis August) kann es sogar 30 Minuten dauern bis der gewünschte Effekt eingetreten ist. Die kürzere Lüftungsdauer im Winter ist nicht nur behaglicher (im Sommer fällt uns das Lüften leichter), sondern auch sinnvoll. Die im Winter in den Raum strömende Luft hat eine große Temperaturdifferenz zur Raumluft und folglich auch ein höheres Trocknungspotential beim späteren Aufwärmen. Die kühle Winterluft ist naturgemäß trockener als warme (Raum)Luft, da sie eine geringere absolute Luftfeuchte besitzt.

Die Häufigkeit der Stoßlüftung richtet sich nach dem Bedarf, z.B. mindestens 3 x oder 4 x täglich. An dieser Stelle möchte ich euch dringend empfehlen dies einmal in mehreren Räumen und auch mehreren Stellen im Raum mit einem Hygrometer zu verfolgen.

Bei der Kipplüftung wird ein Fenster des Raumes “auf Kipp“ gehalten, d.h. nicht komplett geöffnet. Das Dauerlüften über mehrere Stunden mit gekippten Fenstern wird unter Fachleuten gern als „Verwahrlosungslüftung“ bezeichnet und unstrittig als nicht empfehlenswert angesehen. Stundenlanges Dauerlüften im Winter verursacht einen hohen Energieverbrauch und die Wandbereiche nahe des Fensters können dabei auskühlen, was je nach Bausubstanz zu einer ungünstigen Auskühlung der Fenstersturz- und Laibungsbereiche führen kann (Gefahr der Schimmelpilzbildung). Ob und in welchem Ausmaß das passiert, ist vom Heizverhalten und den Randbedingen abhängig (Fassade gedämmt? Fensterlaibungen gedämmt? etc.).

Eine Kipplüftung ist folglich, insbesondere in der kalten Jahreszeit, nur eingeschränkt empfehlenswert und vom Dauerlüften wäre in den meisten Fällen generell abzuraten. Eine regelmäßige und bedarfsgerechte Stoßlüftung ist daher die deutlich sicherere Methode, die für den jeweiligen Moment auch unübertroffen effektiv ist. Dennoch möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die Kipplüftung brechen. Meine Unterstützung gilt hier aber nicht der „Verwahrlosungslüftung“ im Dauergebrauch, sondern einer Kipplüftung mit Augenmaß.

Gemeint ist ein kontrolliertes Kipplüften für einige Minuten, nach oder mit etwas Abstand zur Stoßlüftung. Der Hintergrund hierfür ist, dass durch Stoßlüften zwar die feuchte Raumluft schnell abgeführt werden kann, die im Zeitraum vor der Lüftung im Raum freigesetzte Feuchtigkeit jedoch nicht allein in der Luft gespeichert ist. Feuchtigkeit wird auch an den Oberflächen von Putz, Trockenbauplatten, Textilien etc. gebundene. Diese Feuchte, welche sich über einen längeren Zeitraum angereichert hat, z.B. während der Nachschlafphase oder eines Vollbades, ist jedoch relativ träge, wenn es darum geht sich von den Oberflächen zu lösen wieder zurück in die Raumluft zu gehen. Das gleiche gilt natürlich auch für feuchte Handtücher und Wäschetrocknen im Innenraum allgemein. Die adsorbierte, d.h. an den Oberflächen anhaftende, Feuchte wird nach dem Stoßlüften (Absenken der relativen Raumluftfeuchte) nur langsam an die Raumluft abgeben, was nach einer gewissen (mitunter kurzen) Zeit erneut zum ggf. kritischen Anstieg der Raumluftfeuchte führt.

Für eine nachhaltige Senkung der Raumluftfeuchte müssen die Oberflächen also über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit haben die Feuchte abzugeben. Stoßlüften ist ein kurzes, einzelnes Ereignis und müsste daher mehrfach wiederholt werden, um die Raumluftfeuchte jedes Mal erneut zu senken. Kipplüften ist ein wesentlich trägerer und langsamerer Vorgang, bei dem permanent trockenere Luft in den Raum gelangt. Die Oberflächen geben also über einen längeren Zeitraum Feuchtigkeit an die Luft ab, welche dann über einen ebenfalls längeren Zeitraum zum Fenster hinaus entweichen kann. Der große Unterschied zwischen Dauerlüftung („Verwahrlosungslüftung“) und kontrollierter Kipplüftung ist, dass die Fenster wieder geschlossen werden, wenn die gewünschte bzw. reduzierte Luftfeuchtigkeit erreicht ist (und bevor die Fensterlaibungsbereiche zu stark auskühlen).

Welche Feuchtigkeitswerte in der Raumluft sind dabei im Winter als Zielwerte anzustreben? Das lässt sich leider nicht pauschal beantworten und hängt von der energetischen Qualität des Gebäudes ab. Je schlechter die Wände gedämmt sind, desto niedriger sollte die Raumluftfeuchte sein. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass hier an den kalten Außenbauteilen zwangsläufig durch Abkühlung der Raumluft deutlich höhere Luftfeuchten entstehen. Somit kann die Ziel-Raumluftfeuchte im ungedämmten Altbau bei sehr niedrigen Außentemperaturen auch mal nur 40 % betragen.  Hier muss also in jedem Fall die Luftfeuchte im Raum und an den kritischen Stellen gemessen werden. Dabei bestimmt ferner nicht allein der Zielwert der Luftfeuchte die Dauer der kontrollierten Lüftung. Zu beobachten wäre auch das Auskühlen der Fensterlaibungen durch das Kipplüften. Kritiker der Kipplüftung sehen hierin die größte Gefahr dieser Lüftungsart. Befürworter der kontrollierten Lüftung meinen, dass die Auskühlung nach dem Schließen der Fenster in recht kurzer Zeit wieder behoben wird. Dabei wird vorausgesetzt, dass die kurze Zeitdauer der Auskühlung nicht ausreichend ist, um einen Schimmelpilzbefall entstehen zu lassen. Das ist also ein klassischer Fall von „alles kann, nichts muss“, bei dem wieder nur messen und testen hilft.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Ja, Kipplüftung ist besser als ihr Ruf. Mit zunehmender Zeitdauer der Kipplüftung und bei geringer energetischer Qualität der Außenwände im Bereich der Fensterlaibung ist jedoch Vorsicht geboten (Gefahr der Schimmelpilzbildung, Energieverbrauch, etc.).

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